Aufrufe
vor 4 Jahren

Verfahrenstechnik 9/2019

Verfahrenstechnik 9/2019

MESSEN, REGELN,

MESSEN, REGELN, AUTOMATISIEREN Digitale Dokumentation Effiziente Überwachung des Schichtbetriebs Mit einem interaktiven Schichtbuch gelingt Roche Diagnostics in Penzberg eine lückenlose Dokumentation des Schichtbetriebs. Roche in Penzberg ist bekannt für seine große Expertise im Bereich der Proteinproduktion. Die Fermentation, Aufreinigung und Qualitätskontrolle der empfindlichen Protein-Wirkstoffe sind äußerst komplexe und spezialisierte Schritte – für die Marktzulassung eines therapeutischen Wirkstoffs kann ein Reinheitsgrad von mehr als 99 % erforderlich sein. „Wir stellen diagnostische Einsatzstoffe her“, so Dr. Holger Wünsche, Leiter der Enzymproduktion bei Roche in Penzberg. Primär sind das Reagenzien, wie sie bspw. als Grundsubstanz auf den Teststreifen für die Blutdiagnose zum Einsatz kommen. Schichtleiter Marvin Weber ergänzt: „Wir gewinnen aus tieri­ schen oder pflanzlichen Rohstoffen wie beispielsweise Zucchini aktive Eiweißmoleküle. Diese Enzyme sind äußerst empfindlich und müssen umgehend in eine stabile Form gebracht werden. Deshalb arbeiten wir von Montag bis Freitag rund um die Uhr im Dreischichtbetrieb.“ Eine ganze Reihe von Arbeitsschritten ist notwendig, um ein Protein für diagnostische Anwendungen aus dem biologischen Rohmaterial zu isolieren. „Wir bedienen ein extrem großes Spektrum, in unserer Hauptabteilung fertigen wir circa 400 bis 500 verschiedene Produkte aus ganz unterschiedlichen Rohstoffquellen“, erläutert Dr. Holger Wünsche. Für mikrobielle Rohstoffe verfügt Roche bspw. über eine eigene Fermentation mit verschiedenen Starterkulturen. „Wir haben Fermenter von 10 l, aber auch von bis zu 30 000 l, das variiert je nach einzelnen Chargen“, klärt Marvin Weber auf. „In der Enzymproduktion haben wir ungefähr 80 verschiedene Rohstoffe. Damit stellen wir 300 bis 400 Chargen pro Jahr her. Es gibt Stoffe, die wir wöchentlich produzieren, und dann gibt es welche, die kommen alle drei bis vier Jahre nur einmal vor.“ Transparenz der Abläufe Um bei diesem Pensum effizient zu produzieren, müssen sämtliche Informationen zu betrieblichen Vorkommnissen oder Störungen im Ablauf einheitlich und lückenlos erfasst und weitergegeben werden. Grundsätzlich erfolgt bei Roche die Schichtübergabe so, dass der jeweilige Schichtleiter einen Report für die Folgeschicht schreibt. Bei der Übergabe werden dann alle Ereignisse einzeln abgehandelt. Mithilfe des Reports sieht er genau, welche Mitarbeitende an welcher Anlage gearbeitet haben und sie nun wo weiterarbeiten sollen. Dr. Holger Wünsche erinnert sich: „Bevor wir mit dem Shiftconnector eine digitale 36 VERFAHRENSTECHNIK 9/2019

MESSEN, REGELN, AUTOMATISIEREN Schichtbuchlösung eingeführt haben, haben wir lediglich ein kariertes Heft genutzt, in dem wir alles handschriftlich erfassten. Wenn man Glück hatte, konnte man die Schrift seines Vorgängers lesen. Und damit das Ganze nicht ausuferte, haben wir versucht, die Ereignismitteilung auf eine Seite pro Schicht zu begrenzen. Das war natürlich relativ knapp bemessen und hatte den Nachteil, dass im Nachhinein wichtige Ereignisse oftmals nicht erfasst wurden. 2015 führte das Team um Dr. Holger Wünsche deshalb das interaktive Schichtbuch der Firma Eschbach ein. „Wir starteten noch recht zögerlich mit einer Pilotphase. Die intuitive Systemoberfläche des Schichtbuchs sowie das schnelle Adaptieren unserer Wünsche seitens Eschbach hat uns aber alle binnen kürzester Zeit restlos überzeugt, sodass wir direkt vom Piloten in den Go-live gegangen sind.“ Reibungslose Übergabe In der Roche-Enzymproduktion werden i. d. R. zehn bis zwölf Produkte parallel verarbeitet. Ganz wichtig ist dabei, dass der Produktionsstand vernünftig dokumentiert wird, gerade zu den Ablösezeiten. Im Schnitt sind die Mitarbeiter 8,5 h an den Anlagen beschäftigt, dann wird die Übergabe gemacht und der Ist-Stand im Schichtbuch festgehalten. Erfasst wird dabei so gut wie alles: welche Anlagenteile für welches Produkt gerade in Bewegung sind, wie der Einigungsfortschritt ist, was für Reparaturen anstehen, welche Anlagen momentan außer Betrieb sind, etc. Das interaktive Schichtbuch sei dabei nun eine große Unterstützung. Marvin Weber: „Die Lösung bildet alle Vorgänge übersichtlich ab und wiederkehrende Ereignisse müssen nicht mehr neu erfasst werden, sondern werden automatisiert in den neuen Report übernommen. Das entlastet uns in der Erfassungsarbeit.“ Auch lassen sich zurückliegende Ereignisse nun komfortabel mit wenigen Mausklicks recherchieren. „Durch den Shiftconnector haben wir an Transparenz gewonnen und es ist gewährleistet, dass die Übergabe reibungslos funktioniert“, konstatiert auch Dr. Holger Wünsche. „Bei Schichtwechsel kann jetzt jeder Verantwortliche einen persönlichen Report aus dem Shiftconnector erhalten, der ihn genau über den Ist­ Zustand seiner Produkte informiert.“ Detailliertes Reporting Das Reporting selbst läuft bei Roche nach einem ausgeklügeltem System: So enthält jeder Schichtreport den gesammelten aktuellen Produktionsstand des Enzymherstellungsbereichs. Dazu gehören sämtliche Produkte, die Produktionsanlagen sowie die beteiligten Mitarbeiter. Weiter unten im Bericht sind zudem alle aktuellen Störungen und Zusatzweisungen aufgelistet. „Diese Reports sind stets aktuell und werden an die entsprechenden Mitarbeiter ausgegeben“, erklärt Dr. Holger Wünsche. Etwaige Störmeldungen werden darüber hinaus direkt an die interne Servicebereitschaft weitergeleitet, damit diese sich mit dem Schichtleiter kurzschließen können und ggf. einen Instandhaltungs- oder Reparaturvorgang anstoßen können. Falls kleinere Reparaturen von den Schichtmitarbeitern selbst vorgenommen werden, werden diese ebenfalls im Schichtbuch dokumentiert. Im Shiftconnector selbst können beliebig viele Schichtbücher angelegt werden, die unterschiedliche Informationen vorhalten. Diesen Vorteil hat sich Roche gleich mehrfach zunutze gemacht: Zusammen mit Eschbach wurde bspw. ein Technik-Schichtbuch generiert. Alle aufkommenden Störungen erhalten nun auch automatisch einen Eintrag im Technik-Schichtbuch, sodass z. B. derjenige Mitarbeiter, der die Herstellungsprozesse tagsüber koordiniert, auch gleich eine gesammelte Übersicht über alle Störungen erhält. Auf ähnlich einfache Weise wurde auch ein separates Ablieferbuch generiert, in dem nun alle fertigen Erzeugnisse sowie deren Fälligkeitsdaten verzeichnet werden. „Unser Hauptbuch würde sonst ellenlang werden, deshalb haben wir gesagt, dass wir diese Informationen in einem externen Buch sammeln wollen“, klärt Marvin Weber auf. Roche nutzt den Shiftconnector als reines Informationstool, d. h., er funktioniert losgelöst vom ERP-System und muss auf diese Weise nicht – wie in der Pharmabranche „Wir wollen die Schichtübergabe nicht überfrachten, deshalb zeigen wir tagesaktuelle Aufgaben auf unserem Infoboard an.“ üblich – für jeden Arbeitsplatz zeitaufwändig validiert werden. Dementsprechend verkürzt sich der Einführungsaufwand erheblich. Roll-out auf andere Abteilungen Die positive Resonanz von Dr. Wünsche und seinen Kollegen machte schließlich auch andere Unternehmensbereiche auf die Lösung aufmerksam. Mittlerweile gibt es zwei weitere Abteilungen auf dem Roche- Werksgelände, die den Shiftconnector für ihre Zwecke einsetzen. „Das intuitiv zu handhabende Customizing sowie die Möglichkeit, in einer Lösung gleich mehrere Schichtbücher unterschiedlichen Inhalts zu generieren, haben uns sofort überzeugt“, verrät Christian Allinger, Schichtmeister im Bereich Energieversorgung bei Roche. So überwacht der Shiftconnector nun auch die gesamte Energieversorgung, Rückgewinnung und -entsorgung des Biotechnologieunternehmens. Störungen im Ablauf werden einheitlich und lückenlos erfasst. Über separate Aufgabenfelder können Störungen an der Kesselanlage oder am Tanklager direkt an die Servicemonteure weitergegeben werden. Früher mussten diese Informationen in Word-Listen angelegt werden, die dann pro Schicht für die Verantwortlichen ausgedruckt wurden. „Wir wollen den Shiftconnector nicht mehr missen, allein schon wegen des ganzen Papiers, das wir durch ihn einsparen.“ Fotos: Eschbach, Roche Shiftconnector im Einsatz bei der Roche-Enzymproduktion in Penzberg – Marvin Weber (links) und Dr. Holger Wünsche besprechen Details www.eschbach.com VERFAHRENSTECHNIK 9/2019 37