MESSEN, REGELN, AUTOMATISIEREN Gut simuliert Verfahrensoptimierung bei der Schlammverbrennung Mit Prozessdatenanalyse und Simulationsmodellen lassen sich auch ältere Anlagen effizient modernisieren und betriebswirtschaftlich sinnvoll weiterführen. Wie das funktioniert, wird hier am Beispiel einer Schlammverbrennungsanlage gezeigt. Autorin: Silke Brügel, freie Autorin, Ottobrunn Viele Anlagen können weit über den Abschreibungszeitraum hinaus betrieben werden. Aufgrund geänderter Rahmenbedingungen – wie bspw. Wechsel der Rohstoffe oder neue Emissionsgesetzgebung – sind dafür jedoch mitunter Modifikationen notwendig, die über gängige Reparaturen und Instandhaltungsmaßnahmen hinausgehen. Simulationsmodelle von Anlagenteilen oder gar der ganzen Anlage unterstützen effizient die Planung und Ausführung solcher Maßnahmen und verkürzen maßgeblich die Stillstandzeiten. Bei dem hier vorgestellten Anwendungsbeispiel handelt es sich um eine Schlammverbrennungsanlage, die seit mehreren Jahrzehnten in Betrieb ist. Die Problemstellung war interessant: Vor Projektbeginn schwankte die Schlammqualität durch Zugabe von Fremdschlamm teilweise sehr stark und auch die aufgegebene Menge ließ sich über die Drehzahl der Austragsschnecke nicht korrekt bestimmen. Gleichzeitig kommen bis heute sehr unterschiedliche Ersatzbrennstoffe zum Einsatz; unter anderem Altöl, Tierfette und Abfalllösungsmittel, was Anpassungen in der Fahrweise erforderte. Die ursprünglich implementierten Regelstrategien waren damit nicht vereinbar, sodass Ofenbelastung und Stillstandzeiten zunahmen: Beispielsweise wurde früher die Wirbelbetttemperatur geregelt, während der Regler heute im Normalbetrieb auf die Rauchgastemperatur wirkt, um die schärferen Emissionsgrenzwerte einhalten zu können. In der Folge kommt es bei schwankender Schlammzugabe bzw. Schlammqualität sehr schnell zu starken Sprüngen der Wirbelbetttemperatur, die nur schwer be- herrschbar sind und mitunter zur Abschaltung des Ofens führen. Da die Belastung des Rauchgases mit Stickoxiden – und hier insbesondere auch Lachgas – abhängig von der Verbrennungstemperatur ist, kommt einer möglichst nah am Optimum geführten Verbrennungstemperatur (= Wirbelbetttemperatur) eine große Bedeutung zu. Es gilt, die Schwankungsbreite so klein wie möglich zu halten. Datenerfassung und Bereinigung Entsprechend befanden sich Regler und im Leitsystem berechnete Werte zu Projektbeginn gleichsam „im Blindflug“. Einige Betriebsweisen waren überhaupt nicht mehr nutzbar. Als ersten Schritt galt es, die Betriebsdaten über einen Zeitraum von mehreren Monaten aus dem Prozessleitsystem der Anlage in einen besser geeigneten Data Historian zu importieren und zu bereinigen. „Unser Data Historian ist ein Software-System, das eine Speicherung von Prozessdaten in Echtzeit ermöglicht und damit eine detaillierte Analyse“, erklärt PDE-Geschäftsführer Jörg Wolf. „Das hat sich zur Prozessoptimierung vielfach bei unseren Kunden bewährt und dazu beigetragen, dass sie am Markt konkurrenzfähig geblieben sind“, so Wolf weiter. 28 VERFAHRENSTECHNIK 06/2020 www.verfahrenstechnik.de
MESSEN, REGELN, AUTOMATISIEREN 01 Für die Vorhersage der Abgastemperatur anhand der Eintrittsbedingungen genügt dieses einfache Modell 02 Die Entwicklung der Temperatur kann über das installierte Modell relativ zuverlässig vorhergesagt werden Zu den Vorteilen zählen ein komfortables Sichten aller relevanten Daten, deren Aufbereitung (z. B. Kommentierung und einfache Berechnungen) sowie das Erkennen von Mustern – wie bspw. bestimmte Kombinationen von Signalen. Zudem lassen sich eine Vielzahl effizienter Analysetools direkt an die Datenbasis anbinden. Auf diese Weise gelang es dem Expertenteam rasch, miteinander korrelierte Signale aufzuspüren. Insbesondere bei den Temperaturen im Brennraum fanden sich einige „schwarze Schafe“, die ein mehr oder weniger chaotisches Verhalten aufzeigten. „Leider hebt man aus einem ‚Data Lake‘ eben nicht nur Schätze, sondern auch ziemlich viele alte Stiefel. Wichtig ist, dass man die auch als solche erkennt“, meint Dr. Markus Klingenberger, der bei PDE das Modell entwickelt hat. Fundierte Analyse Das Auffinden aussagekräftiger Zeiträume ermöglichte eine fundierte Analyse. In Zeiten, in denen kein Schlamm in den Bunker, aber vom Bunker aus in den Ofen gefahren wurde, ließ sich mithilfe einer einfachen Massenbilanz für verschiedene Schneckendrehzahlen die geförderte Schlammmenge bestimmen. Das Ergebnis war eine Formel für die Schlammmenge, die für die weitere Modellbildung verwendet werden konnte. Für die Vorhersage der Abgastemperatur anhand der Eintrittsbedingungen genügte ein recht einfaches Modell: Der Ofen wird in Gasphase (Ofenraum) und Festphase (Ofenwand) unterteilt. In der Bilanz über die Gasphase werden der Wärmetransport durch Konvektion, die Verbrennungswärme sowie der Wärmeübergang auf die Ofenwand berücksichtigt. Die Bilanz der festen Phase enthält lediglich Wärmeübergangsterme für den Austausch zwischen Wand und Ofeninnerem sowie Wand und Umgebung. Insgesamt enthält das Modell etwas über 30 Parameter, zum Großteil aus der Literatur entnommene Daten für Stoffeigenschaften. Die thermische Masse des Ofens sowie die beiden Wärmeübergangskoeffizienten wurden anhand der Prozessdaten ermittelt. Als letzter kritischer Parameter verblieb der Brennwert des eingesetzten Schlammes. Auch hier erfolgte der Rückgriff auf Prozessdaten: Anhand des Temperaturverlaufs der vergangenen 30 Minuten wird mithilfe des Modells minütlich ein neuer Brennwert ermittelt, der diesen – vergangenen – Temperaturverlauf optimal wiedergibt. Mit dem so gefundenen Parameter lässt sich unter Annahme gleichbleibender Eintrittsbedingungen die Abgastemperatur vorhersagen. Aussagekräftige Vorhersagen Ein Prototyp des Modells wurde als „Jupyter Notebook“ in Python implementiert. Die breite Verfügbarkeit von Modulen für die Anbindung an Datenquellen und die leistungsfähigen Signalverarbeitungs- und Numerikmodule für Python erlauben es dem Anwender, sich anstelle von Detailfragen auf die wesentliche Problemstellung zu konzentrieren. Ein Proof-of-Concept ist als Jupyter Notebook schnell erstellt. Das spart Zeit und Geld. Die Vorgehensweise ermöglichte es, das Modell als „digitalen Zwilling“ live mitlaufen zu lassen: Die benötigten Signale werden minütlich aus dem Data Historian geladen. Dann wird die Entwicklung der Leider hebt man aus einem „Data Lake“ eben nicht nur Schätze, sondern auch ziemlich viele alte Stiefel. Wichtig ist, dass man die auch als solche erkennt. Dr. Markus Klingenberger, PDE GmbH Abgastemperatur in 5, 15 und 30 min. vorhergesagt und über eine ODBC-Schnittstelle in eine ebenfalls an den Data Historian angekoppelte relationale Datenbank geschrieben. Die Visualisierung der Werte erfolgt im Web-Interface. „Der Anlagenbetreiber und die Verantwortlichen vor Ort zeigten sich überrascht von der Qualität der Voraussagen des installierten Modells“, so PDE-Geschäftsführer Jörg Wolf. Ein weiterer Vorteil: Mit dem Modell lassen sich verschiedene Maßnahmen zur Erhöhung der Abgastemperatur durchspielen. Zudem sinken die Kosten für Pilotversuche zur Verringerung von Lachgasemissionen. Fotos: PDE, corepics/stock.adobe.com www.pde-gmbh.de www.verfahrenstechnik.de VERFAHRENSTECHNIK 06/2020 29
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