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Verfahrenstechnik 5/2017

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TOP-THEMA I

TOP-THEMA I SCHÜTTGUTTECHNIK Direkter Austausch Hersteller und Betreiber optimieren Einsatz von Prozessberstscheiben Als Beispiel betrachten wir den Fall eines großen deutschen Chemieunternehmens. Fike erhielt 2016 eine Anfrage über eine Sonderlösung. Die relevanten Parameter waren alle in einem Datenblatt vom Engineering des Kunden definiert. Sogar eine Bauform, an der sich orientiert werden sollte, war vorgegeben. Diese entsprach in etwa einer Prozessberstscheibe in verschweißter Ausführung, wie sie aus unseren Unterlagen ersichtlich sind. Jedoch mit deutlich höherem Durchmesser und einer Verschraubung als Prozessverbindung. Prinzipiell wäre alles an Material vorhanden gewesen, um eine entsprechende Lösung auszulegen und sie dem Kunden anzubieten. Der richtige Weg jedoch waren Rückfragen: Was sollte mit dem Produkt erreicht werden? In welchem Prozess sollte sie zum Einsatz kommen? Es stellte sich heraus, dass die Instandhaltung des Chemieparks massive Probleme mit den Sicherheitsventilen in dieser Anwendung hatte. An bestimmten Einbaupositionen kam es vermehrt zu einem „Stottern“ der Ventile. Auch war durch das aggressive Prozessmedium eine verstärkte Korrosion zu beobachten, die einen stark erhöhten Ersatzteilbedarf nach sich zog. Wiederholt konnten relevante Emissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden. Viele Kunden im Chemieund Pharmaziebereich sehen Berstscheiben immer noch als reine Lösung zur sekundären Druckentlastung oder auch als Option für Medien, die den effizienten Einsatz von Sicherheitsventilen verbieten. Doch Berstscheiben können viel mehr. Das mögliche Anwendungsfeld von Berstscheiben erstreckt sich inzwischen auf viele Einsatzfelder und kompetente Hersteller decken diverse Designoptionen ab. Öffnungsdrücke können von wenigen Millibar bis mehreren tausend Bar variieren. Prozessberstscheiben sind zwischen Flansche verbaut, in Schraubhaltern eingesetzt, als Schweißeinheiten direkt auf den individuellen Bedarf angepasst oder auch in NA-Connect-Anschlüssen verspannt im Einsatz. Autor: Samuel Ruby, Entwicklungsingenieur, Fike Deutschland, Mannheim Oft sehen wir, dass im Falle von Prozessberstscheiben die Konstruktion oder Instandhaltung unserer Kunden nur im ersten Schritt eingebunden wird. Durch den oft verhältnismäßig niedrigen Preis wird das Produkt dann im weiteren Verlauf seines Lebenszyklus innerhalb des Betriebes als Allerweltsprodukt behandelt. Dies schiebt Prozessberstscheiben in eine Sparte der Beschaffung, bei der hauptsächlich preisliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Ein klarer Fehler, denn die Auswahl des korrekten Partners ist besonders bei sicherheitsrelevanten Anwendungen unabdingbar. Wer nicht fragt … Der kompetente Partner erfüllt nicht nur die von der Konstruktion bereitgestellte Erstauslegung, um die Anforderung des jeweiligen Einkaufs abzudecken. Er fragt nach dem Wie und Warum. Der Mehrwert, der sich durch einen Hersteller mit eigener Konstruktion und verfügbaren Sonderlösungen ergibt, ist für jeden Maschinenproduzenten offensichtlich. Die Lösung kann geschützt und der Ersatzteilbedarf über das eigene Haus erfüllt werden. Die Bauteile sind unverwechselbar. Doch bei kritischen Prozessen, die eine hohe Stabilität erfordern, oder mit deren Ausfall hohe Verluste einhergehen würden, sollte hier ein Umdenken erfolgen. Individuelle Anpassung Die vorgeschlagene Lösung war, die Sicherheitsventile zu ersetzen, obwohl eine nicht wiederverschließbare Lösung im Falle eines Zwischenfalls natürlich stets den Anlagenstillstand nach sich zieht. Die Verschraubung sollte sicherstellen, dass hier zumindest ein schneller Austausch durchgeführt werden könnte. Diese Entscheidung basierte darauf, dass eine Umrüstung auf Sicherheitsventile aus einem entsprechend beständigen Material, hier eine Hastelloy-Variante, zu initialkostenintensiv wäre und zu viele Mittel in den auf Lager zu haltenden Ersatzteilen binden würde. Vorschlag war letztlich das Vorschalten einer Umkehrberstscheibe Typ Axius vor das entsprechende Ventil. Hierbei wurde ein Auslösedruck knapp unter dem des Sicherheitsventils gewählt. Die Axius kann in einen Schraubhalter eingebaut werden, erfüllt in diesem Zustand die Anforderungen einer metallischen Dichtung nach TA- Luft und ist splitterfrei. Durch dieses Vorgehen hat das Ventil im normalen Anlagenbetrieb keinen direkten Kontakt mit dem Prozessmedium, oder der im Prozess vorhandenen Druckpulsation. Das höherwertige Material muss dann nur für die sich mit dem Prozess in Berührung befindliche Seite des Berstscheibenhalters sowie die Prozessberstscheibe selbst verwendet werden, um korrosionsbedingten 26 VERFAHRENSTECHNIK 5/2017

SCHÜTTGUTTECHNIK I TOP-THEMA 01 Berstscheiben-Sonderlösungen für verschiedene Industriezweige und Anwendungen 02 Umkehrberstscheibe für Hygieneanwendungen Verschleiß zu vermeiden. Eine erhöhte Auslassseite der Halterung verhindert, dass die Prozessberstscheibe beim Öffnen mit dem Ventil in Kontakt kommt. Kosteneffiziente Lösung Diese Lösung spart einen hohen Anteil der Folgekosten bei den Ventilen. Sie erlaubt eine wiederverschließbare Entlastung, die mehr Spielraum für Prozessstillstand und Austausch der Bauteile erlaubt. Zudem ist auch bei einer Wartung des Ventils der Prozess durch eine Bersteinrichtung gesichert. Der Kontakt mit dem Kunden und die regelmäßige Kommunikation erlaubten über die letzten Monate zusätzlich eine Optimierung der Installation. In einem nächsten Schritt wurden die Anschlüsse für eine lokale Zwischenraumüberwachung so modifiziert, dass sie auch als Druckluftanschluss für Drucktests direkt am Installationsort verwendet werden können. Möglich wird dies durch die erhöhte Gegendruckbeständigkeit der Prozessberstscheiben, die erlaubt, sie von der Auslassseite mit einem Druck über dem eigentlichen Berstdruck zu belasten. Zuletzt wurde dann auf Basis von Pulsationskenndaten des Chemieparks für die Anlage eine Testreihe in unserem Labor durchgeführt. Ziel war zu ermitteln, nach welcher Anzahl Zyklen ein negativer Effekt auf die Prozessberstscheibe zu erwarten ist. Dies erlaubt einen effektiven Wartungsund Austauschzyklus, bevor es zu einem ungewollten Bruch kommt, und eine Optimierung der Ersatzteilhaltung. Damit erhielt der Kunde statt einer Notlösung für eine problembehaftete Anlage ein System, das den Betrieb und die Instandhaltung der Anlage optimiert und zukünftige Probleme vermeidet. Egal, ob Anlagenbauer oder Endkunde, stets sollten sich alle Beteiligten die Zeit nehmen, den Prozess mit dem Hersteller der Druckentlastungseinrichtung eingehend zu diskutieren. Sicherheits- und kostenrelevante Beschaffungen sollten nicht auf Anfrage und Angebot reduziert werden. Es muss genau der Support angefordert werden, den die Anwendung braucht. Halle 6, Stand P04 www.fike.de C19-4 WAM.indd 1 13.04.2017 14:41:43 VERFAHRENSTECHNIK 5/2017 27