Aufrufe
vor 6 Jahren

Verfahrenstechnik 3/2018

Verfahrenstechnik 3/2018

TOP-THEMA I

TOP-THEMA I LEBENSMITTELTECHNIK Gut gerüstet für die Zukunft Milchwerke sparen Kohlendioxid mit neuer Gasturbine Die Milchwerke Berchtesgadener Land Chiemgau eG (BGL) benötigt für die Herstellung ihrer Molkereiprodukte fast 40 000 t Dampf pro Jahr. Um eine geplante Produktionssteigerung möglichst umweltfreundlich und effizient erreichen zu können, wurde in eine neue Energiezentrale mit einer Gasturbine, einem Abhitze- sowie zwei Spitzenlastdampfkesseln investiert. Die Milchwerke Berchtesgadener Land Chiemgau eG (BGL) im oberbayerischen Piding verarbeiten täglich etwa 850 000 bis 900 000 l Milch und benötigen dafür fast 40 000 t Dampf pro Jahr. Die Energie wurde bisher über das öffentliche Stromnetz sowie über mittlerweile veraltete Autorin: Annika Schott, freie Redakteurin, München Gaskessel bezogen. Jetzt wurde in eine neue Energiezentrale investiert, um die zukünftige Versorgung zu sichern. Mit dem Konzept und der anschließenden Planung wurde die Gammel Engineering GmbH beauftragt. „Die Milchwerke Berchtesgadener Land kamen im Jahr 2014 mit der Anforderung auf uns zu, eine neue, zukunftsfähige Energiezentrale zu planen“, erklärt Thomas Winkler, Projektleiter bei Gammel Engineering. „Dabei sollte bereits die prognostizierte Produktionssteigerung von ca. 50 Prozent in die Überlegungen mit einfließen.“ Das Ingenieurbüro erstellte zunächst eine Konzeptstudie und analysierte dafür den Gas- und Stromlastgang sowie den Kältebedarf des Unternehmens aus dem Jahr 2013. Darin wurde ein Jahresgasbedarf von etwa 36 000 MWh ermittelt, was bei einer Dampferzeugung bei 7,4 bar einer Jahresdampfmenge von knapp 40 000 t entspricht. Der Jahresstrombedarf wurde auf nahezu 14 000 MWh analysiert. Sowohl für den Wärme- als auch für den Stromlastgang sollten Steigerungsraten von 50 % für die nahe Zukunft berücksichtigt werden. Für die Drucklufterzeugung wurden Räumlichkeiten in der neuen Energiezentrale vorgesehen. Der Kälte- und Druckluftbedarf des Betriebes wird zunächst aber weiterhin von den vorhandenen Erzeugern bereitgestellt. Zusätzlich übernahm das Ingenieurbüro die Aufgabe, die Medien in die neue Energieverteilung einzubinden. Gasturbine mit Abhitzekessel Auf Basis des Strom- und Wärmelastgangprofils wurden zunächst mehrere Varianten zur Deckung des Energiebedarfs ausgearbeitet. Dabei wurden ein Gas-BHKW, eine Gasturbine mit Abhitzekessel sowie eine Dampfturbine vergleichend gegenübergestellt. Nach den Wirtschaftlichkeitsberechnungen von Gammel Engineering stellte sich die Gasturbine als beste Option heraus. „Diese deckt mit einer elektrischen Leistung von knapp 1 600 kW den Grundlast- Strombedarf sehr gut ab und kommt auf etwa 5 500 bis 6 000 Jahres-Volllaststunden.“ Damit können die Milchwerke mehr als 70 % des Strombedarfs selbst erzeugen. „Zudem benötigen die Milchwerke derzeit ca. 97 % des Jahreswärmebedarfs als Dampf. Dieser wird mit der neuen Anlage bestmöglich abgedeckt“, führt der Projektleiter die Vorteile aus. Konkret bedeutet dies, dass ca. 82 % des Wärmebedarfs von der KWK-Anlage erzeugt werden können. Die Abgase der Gasturbine werden im nachgeschalteten Abhitzekessel zur Dampferzeugung genutzt, sodass die Energie voll­ 24 VERFAHRENSTECHNIK 3/2018

LEBENSMITTELTECHNIK I TOP-THEMA ständig für den Betrieb verwendet werden kann. Im Nachgang wurden noch die alten Kessel durch zwei neue Spitzenlastkessel mit je 10 t/h Dampf ersetzt. Für die neue Energiezentrale der Milchwerke BGL wurden in den Planungen mehrere Erweiterungsmöglichkeiten berücksichtigt, so soll auf lange Sicht eine Steigerungsrate von bis zu 50 % erzielt werden Warmwasser versorgung Besonderen Wert legt das Ingenieurbüro darauf, dass die benötigte Energie mit einem möglichst geringen Ressourceneinsatz erzeugt werden kann. Hier bestand vor allem bei der Heizungstechnik im Werk noch Optimierungsbedarf: Bisher wird der normale Heizwärmebedarf mithilfe von Hochtemperaturdampf bereitgestellt und ist deshalb mit einem hohen energetischen Einsatz verbunden. Gammel Engineering legte den Milchwerken ein Konzept zum Einstieg in die Heizungswasserversorgung vor. Dabei soll ein Teil des Wärmebedarfs durch einen Pufferspeicher abgedeckt werden, sodass zukünftig auch die kaskadierte Abwärmenutzung oder der Einsatz von Motor- BHKWs möglich ist. Dies gilt im Übrigen auch für die Gasturbine: Diese verfügt über die Besonderheit, je nach Bedarf sowohl wärme- als auch stromgeführt gefahren werden zu können, und ermöglicht damit einen sehr flexiblen Betrieb. Im weiteren Verlauf des Projekts wurden die Details ausgearbeitet. Neben der Gasturbine mit einer Leistung von 1,6 MW el sah das Anlagenkonzept die Installation eines Abhitzedampfkessels mit einer Erzeugung von 5 t/h sowie zweier Spitzenlastkessel mit jeweils 10 t/h vor, womit eine abgesicherte Leistung von 15 t/h erreicht werden kann. Der derzeitige Spitzenlastbedarf liegt bei 11 t/h. Für die Produktionssteigerung wurden in der Planung Optionen zum späteren Integrieren weiterer Erzeuger für eine gesicherte Dampfleistung bis 25 t/h berücksichtigt, sodass zukünftig 1,5 Mio. l Milch pro Tag verarbeitet werden können. Zügige Projektabwicklung Im Januar 2015 startete das Ingenieurbüro mit der Entwurfs- und Genehmigungsplanung und arbeitete die für den Architekten notwendigen Informationen für die Gebäudeplanung aus. Dabei musste beachtet werden, dass die Milchwerke BGL Piding Abhitzekessel I Gasturbine I als Produktionsbetrieb nach Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) genehmigt sind. Zusätzlich mussten die Dampfkessel ein Genehmigungsverfahren durchlaufen. Für die neue Energiezentrale begleitete Gammel Enginee- Die größte Herausforderung bestand darin, die Medien in den Bestand einzubinden, ohne den laufenden Betrieb zu stören. Klaus Gschwendner, stellv. Technischer Leiter, Milchwerke Berchtesgadener Land sw- Eco ww- Eco Verbraucher Spitzenlastkessel I Kondensatbehälter Spitzenlastkessel II ring deshalb die komplette Änderungsgenehmigung und erarbeitete die Unterlagen für die Gutachten. Die frühzeitige Vorbereitung stellte sich schließlich als die richtige Strategie heraus: Die endgültige Genehmigung wurde erteilt, kurz bevor die Anlage in den Regelbetrieb überging. Die praktische Um-setzung ging schneller vonstatten: „Mit dem Generalunternehmer, der für die Ausführung sämtlicher Bauleistungen zuständig war, ließen sich die Kosten besser überwachen und die Abstimmungen konnten viel schneller erfolgen“, so Winkler. Da die endgültige Auftragsvergabe schnell erfolgte und der Regelbetrieb bereits Ende 2016 aufgenommen wurde – dazwischen lagen lediglich elf Monate – sicherten sich die Milchwerke BGL eine KWK-Förderung nach dem KWK-Gesetz 2012 für die neue Gasturbine. Die Planungs- und Bauphase wurde regelmäßig von Gammel Engineering überwacht. „Die komplette Montage und Einbindung er folgte während der laufenden Produktion. Dennoch konnten wir die nötigen Bauund Installationsmaßnahmen innerhalb Erdgas Abgas Dampf Speisewasser Frischwasser Kondensat sw- Eco sw- Eco Speisewasserbehälter I Wasseraufbereitung I Pufferspeicher Hilfskondensator Luftdruckkühler Speisewasserbehälter II Wasseraufbereitung II von nur acht Monaten abschließen“, so Winkler über die Projektabwicklung. Das war mitunter ein entscheidendes Kriterium für die Milchwerke: „Auch in Umbauphasen im Unternehmen stehen wir gegenüber unseren Milchbauern in der Pflicht, die gelieferte Milch abzunehmen und weiterzuverarbeiten“, erklärt Klaus Gschwendner, stellvertretender Technischer Leiter bei den Milchwerken Berchtesgadener Land. „Die größte Herausforderung bestand deshalb darin, die Medien in den Bestand einzubinden, ohne den laufenden Betrieb zu stören.“ Reibungslose Zusammenarbeit Für die Werksverteilung der verschiedenen Medienleitungen wie Dampf, Heizungswasser und Druckluft wurde die neue Energiezentrale mit der neuen Abtankhalle und dem alten Kesselhaus über eine Medienbrücke verbunden. Die Werksverteilung wurde bereits auf den zukünftigen Ausbau ausgelegt, sodass die Milchwerke nun für eine geplante Produktionssteigerung gerüstet sind. Durch die gekoppelte Erzeugung von Strom und Dampf für die Produktionszwecke werden nun jährlich 5 350 t CO 2 eingespart. Der stellvertretende Technische Leiter zeigte sich sehr zufrieden mit dem Projektverlauf: „Mit Thomas Winkler als Projektleiter des Ingenieurbüros hatten wir einen kompetenten Ansprechpartner mit innovativen Anlagenlösungen zur Seite. Durch die reibungslose Zusammenarbeit sind zukünftig Folgeaufträge jederzeit denkbar“, so Gschwendner. www.gammel.de VERFAHRENSTECHNIK 3/2018 25