MESSEN, REGELN, AUTOMATISIEREN und Automatisierungstechnik“ gibt dafür eine methodische Hilfestellung und soll den Schritt zur Umsetzung erleichtern. CHT WAGT DIE REALISIERUNG IM PRODUKTIONSUMFELD Die CHT-Gruppe hat trotz der noch nicht abgeschlossenen Standardisierung vor über einem Jahr den Schritt in die Umsetzung gewagt. Sie hatte schon einige modular gestaltete Prozessanlagen in 01 ihrer chemischen Produktion im Betrieb. Nun sollte die MTP-Funktionalität ebenfalls im wertschöpfenden produktiven Bereich installiert werden. Ziel war es nachzuweisen, dass diese neue Technologie im anspruchsvollen Produktionsumfeld wirtschaftlich, flexibel und sicher genutzt werden kann. Günther Schätzle, Manager Plant Engineering Production & Logistics bei CHT, wählte ein bereits implementiertes Verfahren für die Herstellung von Polymeren als Startprojekt aus – zunächst nur am Standort in Dußlingen. Nach und nach soll das Verfahren auch standortübergreifend durch den Einsatz weiterer modularer Anlagen realisiert werden. Aufgrund der anspruchsvollen Reaktionsführung bei der Herstellung von Polymeren kommt es bei der Dosierung der Edukte auf Zuverlässigkeit und Genauigkeit an. Die Produktvielfalt verlangt zudem eine an den jeweiligen Herstellungsprozess angepasste Dosierungstechnik. Dafür hat CHT bereits seit vielen Jahren unterschiedliche Typen von mobilen Dosieranlagen im Einsatz, die an die verschiedenen Reaktoren angeschlossen werden. Da sich die Dosieranlagen im Produktionsumfeld bewährt haben, bot es sich für Schätzle an, diese auch für das neue Verfahren zu nutzen. Die Dosierlogik wurde jedoch bisher konventionell in das Prozessleitsystem der Reaktionskesselanlagen inte-griert. Das heißt, jeder Reaktor hielt die notwendigen Programmcodes für den Betrieb der im technischen Detail variierenden Dosiermodule lokal vor und übernahm die Steuerung der mobilen Module, sobald diese angeschlossen wurden. Nun galt es, die Intelligenz aus den Steuerungen der stationären Reaktoren in das Dosiermodul zu verlagern und anstelle von Schaltpunkten prozesstechnische Dosierdienste anzubieten. Das erforderte die Schaffung einer einheitlichen Schnittstelle unter Verwendung des MTP-Formates, um die Dienste über das Prozessleitsystem abrufen zu können. Die universelle Verwendbarkeit der Dosierdienste im sich verändernden Produktionsumfeld spielte dabei eine wichtige Rolle, denn Produktionsanpassungen bedingen den Einsatz verschiedener Reaktoren und wechselnder Dosiermedien. 02 28 VERFAHRENSTECHNIK 2022/12 www.verfahrenstechnik.de
MESSEN, REGELN, AUTOMATISIEREN 01 Zugriff auf die Dosierdienste über grafische Oberflächen 02 Automatisierungstechnischer Aufbau der MTP-POC-Anlage 03 03 Der Leckagesensor SpillGuard detektiert austretende Flüssigkeiten Zudem waren Überwachungs- und Messeinrichtungen vorzusehen, um die Funktion und Sicherheit zu gewährleisten und dem Bediener Informationen zu erforderlichen manuellen Eingriffen zur Verfügung zu stellen. KOMPLEXITÄT AUF MEHREREN SCHULTERN VERTEILT An der Projektrealisierung waren neben CHT als Anlagenbetreiber, der für POL (Process Orchestration Layer) zuständige Systemhersteller und die System- und Komponentenhersteller der modularen Dosiereinheiten (sog. PEA – Process Equipment Assembly) beteiligt. An den Datenschnittstellen haben sie sich auf gemeinsame Spezifikationen für die Industriestandards MTP und OPC UA geeinigt. Im Ergebnis greifen POL und PEA sowie alle Komponenten optimal und mit geringem Aufwand ineinander. Auf Prozessebene wird für den Dosiervorgang das mobile Dosiermodul mit Pumpen- und Dosiertechnik der Sera GmbH an die jeweilige Produktionsanlage mit Schläuchen angeschlossen und aus IBC versorgt. Die MTP-Dienste zur Steuerung der Dosierabläufe sowie weitere Sensorik wurden mit der Automatisierungstechnik von B&R Industrial Automation GmbH integriert. Die Füllstandmessung erfolgt mithilfe von Geräten von Vega und stellt sicher, dass die Anlage im zulässigen Bereich betrieben wird. Der Leckage-Sensor SpillGuard Connect der Denios SE detektiert austretende Flüssigkeiten und löst daraufhin eine Alarmierung aus. Die am Dosiermodul gemessenen Sensordaten werden per Mobilfunk auf Basis von Narrowband IoT in die jeweilige Cloudanwendung der Sensorhersteller Denios und Vega übertragen. Der Softwareentwickler Semodia GmbH stellt mit der MTP- Control-Engine eine Software bereit, die beim Start eine aktuelle Geräteliste über die Web-API von Denios und Vega herunterlädt, dynamisch ein MTP erzeugt und dieses über einen integ rierten Web-Server zum Download bereitstellt. Auf der Leitebene werden die PEA-Module mittels dem Industrie-/Kommunikationsstandard OPC UA in das Prozessleitsystem Aprol von B&R integriert. Somit ist für den Bediener eine nahtlose Zusammenführung in die vorhandene Anlagenbedienung erfolgt. DRASTISCHE AUFWANDSREDUZIERUNG DURCH GEMEINSAME STANDARDS Für den Return on Invest (ROI) rechnet Schätzle nach Abzug der Projektkosten mit einem knapp sechsstelligen Euro-Betrag pro Jahr. Dieser ergibt sich sowohl aus der Aufwandsreduzierung für die Synchronisation von Dosiertechnik, Software-Engineering und Andocken als auch aus der Material- und Aufwandsreduzierung für das Leckage-Management. Durch die schnelle Kopplung des Dosiermoduls an das Prozessleitsystem unter Verwendung des MTP-Formats und einer OPC-UA-Schnittstelle reduzieren sich die Zeiten für die Inbetriebnahme auf wenige Minuten. Die Überwachung der Anlage konnte aufgrund der mobilen, cloudbasierten Datenübertragung ohne großen Verkabelungs- und Elektroinstallationsaufwand sichergestellt werden. Der ROI hat sich nach fast einjähriger Betriebserfahrung mit der neuen Technologie bewahrheitet. „Wir haben nicht nur die neue ‚herstellerunabhängige MTP-Technologie‘ getestet, sondern diese bereits seit einem Jahr erfolgreich im Einsatz“, so Schätzle. Der in der Dosier-PEA integrierte Service lässt sich aufgrund des hohen Standardisierungsgrads problemlos als Plug-&-Play-Lösung auch für andere Dosieraufgaben in der Verfahrenstechnik verwenden. „Im Laufe des Projekts hat uns das Engagement aller Beteiligten begeistert. Es herrschte Goldgräberstimmung, die hoffentlich Initialwirkung hat. Je mehr Anwender diese Lösung adaptieren desto günstiger wird sie“, konstatiert Schätzle. „Die Standards zur Modularisierung und Vernetzung der Produktionsabläufe müssen sich nur noch deutlich stärker in der Praxis durchsetzen.“ Die CHT-Gruppe verfolgt diese Ansätze seit langem und gestaltet den Richtlinienprozess aktiv mit. Schätzle weiter: „Wir konnten mit unserem Projekt nachweisen, dass die verfahrenstechnische Normierung für den Bau modularer Chemieanlagen nach VDI 2776 für die Anwendung in wertschöpfenden Prozessen einsetzbar ist. Und wir konnten den Beweis erbringen, dass die digitale Vernetzung verschiedenster Signale und Informationsquellen mit der erforderlichen Disziplin beim Engineering unter Verwendung des MTP nach VDI/VDE/Namur 2658 erfolgreich umgesetzt werden kann.“ Bilder: Denios www.denios.de AUTORIN Maren Matzeik, Marketing Manager Engineered Solutions, Denios Direct GmbH, Bad Oeynhausen PARTNER n CHT Germany GmbH in Tübingen www.cht.com n Denios SE www.denios.de n Semodia GmbH semodia.com n Sera GmbH www.sera-web.com/de n B&R Industrial Automation GmbH www.br-automation.com/de-de n Vega Grieshaber KG www.vega.com/de-de www.verfahrenstechnik.de VERFAHRENSTECHNIK 2022/12 29
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