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Verfahrenstechnik 7-8/2019

Verfahrenstechnik 7-8/2019

BETRIEBSTECHNIK Damit

BETRIEBSTECHNIK Damit kein Funke überspringt Abfüllen von Toluol in einen Behälter Elektrostatische Ladungen können zu Bränden oder im Extremfall zu Explosionen führen. Im vorliegenden Beispiel wurde ein Metalleimer über ein Metallfallrohr mit Toluol, einem äußerst regen Ladungserzeuger, befüllt. Und schon nach kurzer Zeit entzündete sich das Lösungsmittel. Ein Bediener wollte mithilfe der Schwerkraft einen Metallbehälter mit Toluol aus einem Hochbehälter füllen und öffnete dazu ein Ventil. Die Fließgeschwindigkeit betrug ca. 23 l/min. Der Bediener hängte zu diesem Zweck einen Metalleimer mit Drahthenkel und Kunststoffgriff über ein Absperrventil. Durch den Kunststoffgriff des Henkels wurde der Metalleimer gegen Erde isoliert. Beim Öffnen des Ventils trat der Bediener vom Eimer weg, um das Toluol in den Eimer fließen zu lassen, wie er es zuvor bereits mehrmals getan hatte. Schon nach kurzer Zeit entzündete sich das Toluol. Der Bediener verließ den Ort des Geschehens und kam mit einem kleinen Feuerlöscher zurück, der sich jedoch als ungeeignet erwies. Daraufhin holte der Bediener einen größeren Feuerlöscher. Allerdings war das Feuer zu diesem Zeitpunkt bereits außer Kon trolle und der Bediener konnte das Ventil nicht schließen, um den Toluolstrom in den Eimer, der bereits überlief, zu stoppen. Rekonstruktion der Vorgänge Autorin: Sophie de Ronde, Digital Marketer, Newson Gale Ltd, Colwick, Nottingham, Großbritannien Bei der Untersuchung des Vorfalls kam man zu der Erkenntnis, dass der Bediener das Ventil geöffnet hatte und sich anschließend von dem Metalleimer entfernt hatte. Der Bediener sagte aus: „Ich stand einfach da und schaute den Eimer an, als er plötzlich Feuer fing.“ Eine vom Bediener ausgehende Entladung wurde daher als Ur sache für den Vorfall ausgeschlossen. Stattdessen zog man ein Strömungsstrom-Szenario in Betracht. I s = 2,5 × 10 -5 × v 2 × d 2 I s = Strömungsstrom (A), v = Geschwindigkeit (m/s), d = Rohrleitungsdurchmesser (m) Laut Berechnung hätte der Strömungsstrom 0,01 μA betragen müssen, allerdings gab es da noch einen Filter in der Leitung. Die Verweildauer des Toluols zwischen dem Leitungsfilter und dem Ausgang der Rohrleitung betrug unter einer Sekunde, was viel kürzer als die empfohlenen 30 s ist. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Strömungsstrom am Ausgang der Rohrleitung ca. 0,1 μA betrug. Auf jeden Fall aber lag der Strömungsstrom zwischen 0,1 und 0,01 μA. Wenn man annimmt, dass das Toluol 30 s lang floss, dann wäre am Eimer eine Ladung von 3 μC entstanden, sofern der Eimer vollständig gegen Erde isoliert war. Die potenzielle Energie am Eimer lässt sich mit der folgenden Gleichung bestimmen: E pot = Q 2 /2C Q = Ladungsmenge des Eimers, C = elektrische Kapazität des Eimers Die potenzielle Energie am Eimer errechnet sich hiermit auf 225 mJ. Die Spannung am Eimer betrug 150 kV. Bei einer Durchschlag festigkeit der Luft von 3 × 106 V/m hätte ein Funken vom Eimer problemlos eine Strecke von 50 mm überwinden können. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass es zu einem Funkenschlag vom Draht henkel zum Absperrventil gekommen ist. 38 VERFAHRENSTECHNIK 7-8/2019

BETRIEBSTECHNIK Bei einem konservativeren Ansatz ergibt der niedrigere Wert des Strömungsstroms von 0,01 μA mit derselben Gleichung eine potenzielle Energie in Höhe von 2,25 mJ, eine Spannung von 15 kV und einer Funkenstrecke von 5 mm. Bei einer berechneten Mindestzündenergie von Toluol von 0,24 mJ ist eine Potenzialentladung selbst mit der konservativsten angenommenen Energie von 2,25 mJ immer noch hoch genug, um die brennbaren Dämpfe, die von dem Toluol erzeugt wurden, zu entzünden. Vermeidungsstrategie Das Erdungsüberwachungssystem garantiert das Vorhandensein eines Anschlusswiderstands von 10 Ω oder weniger Es ist durchaus anzunehmen, dass dieser Vorgang ohne jeglichen Zwischenfall zuvor bereits mehrfach durchgeführt wurde. Möglicherweise kam es bei den vorherigen Vorgängen ebenfalls zu einer elektrostatischen Funkenentladung, jedoch war in diesen Momenten in der Funkenstrecke einfach keine brennbare Atmosphäre vorhanden. Dies ist ein häufiges Merkmal von Operationen, bei denen es aufgrund von elektrostatischen Ladungen zu einem Brand oder einer Explosion gekommen ist. In einem ersten Schritt muss festgestellt werden, warum sich der Eimer überhaupt elektrostatisch aufladen konnte. In diesem Fall hat sich der Behälter elektrostatisch aufgeladen, weil er elektrisch von der Erdmasse getrennt war. Hätte der Eimer Verbindung zur Erde gehabt, hätte sich auf seiner Oberfläche keine Ladung aufbauen können. Überschüssige elektrostatische Ladungen wären stattdessen ganz einfach zur Erde hin abgeflossen. Gemäß den branchenweit gültigen Richtlinien wie NFPA 77 und IEC 60079-32-1 hätte der isolierte Behälter über eine Verbindung zu einem geprüften Erdungspunkt (in diesem Fall zu dem Prozessbehälter) mit einem Widerstand von 10 Ω oder weniger verfügen müssen. Sowohl in IEC 60079-32-1 (13.4.1) als auch in NFPA 77 (7.4.1.6) und (7.4.1.4) heißt es: „Temporäre Verbindungen können mithilfe von Schrauben, Druckklammern (Erdungsklammern) oder Spezialklammern hergestellt werden. Druckklammern sollten ausreichenden Druck erzeugen, um Schutzschichten, Rost oder verschüttetes Material zu durchdringen und den Kontakt mit dem Grundmetall mit einem Übergangswiderstand von weniger als 10 Ω zu gewährleisten.“ Erdungsklammern und -kabel verfügen über eine Atex/FM-Zertifizierung. Sie durchdringen physische Hemmnisse wie Farbanstriche, Produktablagerungen und Rost und garantieren eine elek trisch leitfähige Verbindung mit dem Grundmetall der Anlagenteile und Geräte. Für Tätigkeiten, die eine kontinuierliche Erdung erfordern, bestünde die nächste Schutzstufe aus einer selbstprüfenden Erdungsklammer mit optischer Anzeige. Bond-Rite Remote ist ein für die Wandmontage konzipiertes Erdungssystem, das das Bedienpersonal aktiv dazu animiert, die Anlagen und Geräte vor dem Beginn des Prozesses zu erden. Das Erdungsüberwachungssystem garantiert das Vorhandensein eines Anschlusswiderstands von 10 Ω oder weniger. Grün blinkende LEDs erteilen dem Benutzer auf einfache Art und Weise die Freigabe für den Prozessstart. Fotos: iStock (#172646340, P_Wei), Newson Gale www.newson-gale.co.uk EFFIZIENT GEMACHT RESSOURCEN SCHONEN, KOSTEN SENKEN, UMWELT SCHÜTZEN Ihr unternehmerischer Erfolg ist unser Ziel. Als Landesagentur vernetzen wir Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Wir initiieren zukunftsweisende Projekte, horchen weltweit in die Märkte, ebnen neuen grünen www.umwelttechnik-bw.de Technologien den Weg und leisten Wissenstransfer. Ressourcen zu schonen, Material im Kreislauf zu führen, Energie effizient zu nutzen sind unsere Themen. Wir unterstützen Sie dabei, ressourceneffiziente Wege zu gehen. Umwelttechnik UTBW_Anzeige_Verfahrenstechnik_185x90_20190131.indd BW.indd 1 1 14.03.2019 28.01.19 11:53:27 11:51 VERFAHRENSTECHNIK 7-8/2019 39