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Verfahrenstechnik 3/2017

Verfahrenstechnik 3/2017

MESSEN, REGELN,

MESSEN, REGELN, AUTOMATISIEREN Robustere und leichtere Glasflaschen Mit Simulationssoftware lässt sich der Materialverbrauch reduzieren In einer sehr traditionellen Industrie revolutioniert ein Unternehmen die Flaschenherstellung, indem es multidisziplinäre Simulation nutzt, um genau zu verstehen, was während des Flaschenherstellungsprozesses passiert. Diese Erkenntnisse fließen in die Entwicklung besserer Maschinen zur Flaschenproduktion. Aus der Warte der multidisziplinären Simulation betrachtet, ist das Umformen eines geschmolzenen Glasbrockens in eine feste – rein technisch gesehen nach wie vor flüssige – Glasflasche eine der komplexesten Aufgaben. Die Herstellung eines Glasbehälters umfasst alle Arten von Wärmeübertragung sowie die Struktur- und Strömungsmechanik eines Materials, das seine Viskosität während der Verarbeitung um sieben Größenordnungen ändert. Die italienische Firma Bottero Spa hat sich auf Anlagen für die Produktion qualitativ Autor: Stephen Ferguson, Marketing Director, Siemens PLM Software, London, Großbritannien hochwertiger Glasprodukte spezialisiert; die Geschäftseinheit „Hohlglas“ entwickelt und fertigt Maschinen für die Flaschenund Behälterproduktion. Das Ziel von Bottero ist es, seinen Kunden die Entwicklung neuartiger, sehr leichter Glasprodukte zu ermöglichen, die gleichzeitig wesentlich stabiler und damit haltbarer als bisherige Produkte sind. Außerdem soll die Produktion weniger Rohmaterial und Energie kosten, sowohl beim Schmelzen des Glases als auch beim Transport des fertigen Behälters. Das ermöglicht ein qualitativ besseres Produkt mit geringeren Gesamtkosten. Die Herausforderung Auch wenn die meisten glauben, dass Glas ein Feststoff ist, handelt es sich in der Realität um eine unterkühlte Flüssigkeit, deren Viskosität so hoch ist, dass die Moleküle sich nicht frei bewegen und zu Kristallen formen können. Die Steuerung des Prozesses, in dem das Glas auf seinen (fast) festen Zustand heruntergekühlt wird, ist entscheidend für die Festigkeit des entstehenden Glasbehälters. Früher wurde die Robustheit der Glasbehälter durch „Overengineering“ sichergestellt, indem man die Wandstärke erhöhte. Doch dies führte zu schwereren Gefäßen, die weniger kundenfreundlich und teurer zu produzieren waren. In den letzten 20 Jahren reduzierte sich das Gewicht einer typischen Glasflasche dank der Fortschritte in der Produktionstechnik und dem kombinierten Einfluss von Kundenvorlieben und ökonomischen Anforderungen um mehr als 40 %. Und das ohne Stabilitätsverlust oder größere Zerbrechlichkeit. „Wenn man eine strukturell stabile Flasche herstellen möchte, sind zwei Stufen des Prozesses entscheidend: Im ersten Schritt wird geschmolzenes Glas in die vorläufige Flaschenform gegossen. Danach wird die Flasche in einem anderen Model in ihre endgültige Form gebracht“, sagt Marcello Ostorero, Entwicklungs- und Konstruktionsleiter bei Bottero. „Diese endgültige Form genau zu treffen, ist extrem wichtig. Gelingt dies nicht, kann die Flasche schon bei normaler Nutzung zerbrechen.“ Im Verlauf des Fertigungsprozesses wird das Glas von über 1000 °C auf Umgebungstemperatur gekühlt, wodurch sich die Viskosität um sieben Größenordnungen von 100 auf 10 9 P erhöht. Wird die Flasche zu schnell oder ungleichmäßig gekühlt, entstehen innere Spannungen in den Wänden des Gefäßes, die seine Stabilität verringern. Das größte Problem ist, dass sich die Vorgänge rund um das geschmolzene Glas im Innern der Fertigungsmaschine abspielen und nicht beobachtet werden können. Bisher war der übliche Weg, diesen komplexen Prozess zu beurteilen, die Untersuchung des fertigen Produkts und der Verteilung des Glases. Dazu bedurfte es großer Erfahrung, um sich vorzustellen, was in der Form falschgelaufen sein könnte. „Die Stabilität des Glases hängt sehr stark davon ab, wie das Glas während der Produktion gekühlt wird“, sagt Simone Ferrari, der viele der Simulationsberechnungen mit Star-CCM+ durchgeführt hat. „Auch, wenn

MESSEN, REGELN, AUTOMATISIEREN Im ersten Schritt wird geschmolzenes Glas in die vorläufige Flaschenform gegossen, danach wird die Flasche in einem anderen Model in ihre endgültige Form gebracht wir die Temperatur der Form in der Glasfabrik messen können, haben wir ohne Simulation wenig oder kein Wissen, wie die Temperatur des Glases selbst ist. Der typische Ansatz in der Industrie ist Trial-and-Error. Dafür den Fertigungsprozess monatelang stillzulegen, ist zeitraubend und sehr teuer.“ Eine große Flaschenfabrik kann mehr als zwei Millionen Flaschen pro Tag oder 25 Flaschen pro Sekunde fertigen. Die Kosten für diese Trial-and-Error-Versuche oder ungelöste Probleme in der Fertigung verursachen hohe Kosten. Aus diesem Grund entschloss sich Bottero, Simulationssoftware zu nutzen, um detaillierte Einblicke in den Fertigungsprozess zu erhalten. Mit diesen Berechnungen lassen sich zum einen der Prozess und zum anderen die Qualität der gefertigten Gefäße optimieren. Die Lösung Der Glasformprozess ist gegenüber Veränderungen in den zeitlichen Abläufen in der Maschine, in der Glaszusammensetzung und in den Umweltbedingungen extrem empfindlich. Da es praktisch unmöglich ist, die Vorgänge in der Form während der verschiedenen Phasen des Formprozesses physikalisch sichtbar zu machen, ist die numerische Simulation das einzige verfügbare Werkzeug, das hilft, die Physik des Prozesses zu verstehen. Ferrari erläutert: „Wir fertigen Glasherstellungsmaschinen. Die Qualität des Gefäßes wird durch die Abkühlung des Glases bestimmt, wobei sich die strukturellen Eigenschaften stark ändern. Das Kennen der tatsächlichen Temperaturen des Glases ist der wichtigste Aspekt für die Festigkeit und Qualität des Behälters. Multidisziplinäre Simulation mit Star-CCM+ ist der einzige Weg, mit dem wir dieses Wissen erhalten können.“ Allerdings ist das Lösen der technischen Probleme nicht die einzige Herausforderung, der sich Ostorero und seine Kollegen gegenübersehen. Die Glasindustrie ist extrem konservativ und vertraut oft auf jahrzehntelange Erfahrung, die über Jahrhunderte weitergegeben wurde. Dieses erfahrungsgetriebene Know-how ist zwar als Startpunkt für das Entwickeln neuer Produkte geeignet, nicht aber als Basis für die intelligente Designexploration. „Kürzlich halfen wir einem Kunden bei der Optimierung einer Flasche für kohlensäurehaltige Getränke“, erinnert sich Ostorero. „Als er die Flasche testete, konnte er sie nicht zur Explosion bringen. Das ist ein unglaublicher Fortschritt – die Simulation hat die Stabilität der Flasche über die Grenzen der Fähigkeiten der Testanlagen hinausgetrieben. Das wäre ohne Simulation unmöglich gewesen.“ „Keiner unserer Mitbewerber nutzt Simulation ausgiebig“, schließt Ferrari mit einem Lächeln. „Das hat sich als sehr vorteilhaft für unsere Kunden erwiesen. Sie beginnen, uns dafür zu bezahlen, dass wir ihre Prozesse optimieren, beispielsweise um bessere Formen bauen zu können und damit schlussendlich bessere Flaschen zu fertigen. So gewinnen wir tatsächlich durch die Simulation Erfahrungen, die denjenigen aus Experimenten überlegen sind.“ mdx.plm.automation.siemens.com E I N L A D U N G Mittwoch, 5. April 2017 8:00 bis 16:00 Uhr Halle Messe Messestraße 10 06116 Halle (Saale) Messtechnik Steuerungstechnik Regeltechnik Prozessleitsysteme Automatisierung Führende Fachfirmen der Branche präsentieren ihre Geräte und Systeme und zeigen neue Trends im Bereich der Automatisierung auf. Die Messe wendet sich an Fachleute und Entscheidungsträger die in ihren Unternehmen für die Automatisierung verantwortlich sind. Der Eintritt zur Messe, die Teilnahme an den Fachvorträgen und der Imbiss ist für die Besucher kostenlos. MEORGA GmbH Sportplatzstraße 27 66809 Nalbach www.meorga.de Meorga.indd 1 13.02.2017 10:25:24 VERFAHRENSTECHNIK 3/2017 27