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Verfahrenstechnik 11/2019

Verfahrenstechnik 11/2019

Einheitliches System

Einheitliches System Mechatronische Antriebe in der Herstellung von Infusionslösungen In der Pharmaproduktion von B. Braun kommt ein mechatronisches Antriebssystem entlang der kompletten Förderstrecke zum Einsatz – auch im Reinraum. Die Vorteile: kompakte Maße, komplette Steckbarkeit der Anschlusstechnik, maximale Standardisierung, hohe Energie- effizienz und ein lüfterloser Betrieb. Autor: Gunthart Mau, Referent Fachpresse, SEW-Eurodrive GmbH & Co KG, Bruchsal Die Braunüle hat es geschafft. Sie zählte zu den Deonymen, also generischen Markennamen, die eine ganze Produktgattung beschreiben. Das Tempo für das Taschentuch, der Q-Tipp für das Wattestäbchen oder eben die Braunüle für die Venenverweilkanüle. Entwickelt hat sie das Medizintechnik- und Pharmaunternehmen B. Braun aus Nordhessen in den 1950er- Jahren. Die Braunüle wurde schnell zu einem medizinischen Kassenschlager, weil sie für den Patienten deutlich angenehmer war, als die bis dato starren Kanülen aus Metall. Parallel dazu vollzog B. Braun auch den Wechsel von der zerbrechlichen Glasflasche zum Infusionssystem aus flexiblem Kunststoff. Hergestellt werden die Infusionslösungen im Produktionsbereich Life. Hinter diesem Namen verbirgt sich die erste vollautomatische Fabrik für Injektionslösungen in Europa. Die „Leading Infusion Factory Europe“ steht im Schwalm-Eder-Kreis. Melsungen in Nordhessen ist der Stammsitz von B. Braun – und hier produziert das Pharmaunternehmen an zwei Standorten Infusionslösungen. Die Fertigungstiefe reicht von der Herstellung der sogenannten Standbeutel mit Extrudern und Blasanlagen über die Produktion des Reinstwassers bis hin zum eigentlichen Ansatz der In fusionslösungen. In einem Schritt Sind die Standbeutel gefüllt und verschlossen, werden die Einheiten final sterilisiert, etikettiert und verpackt. „Die PE-Flaschen in einem Zug zu extrudieren, aufzublasen und zu füllen, ist aus dem 46 VERFAHRENSTECHNIK 11/2019

SPECIAL I SPS Volles Drehmoment in einem Drehzahlstellbereich von 1:2 000 – damit lassen sich die Antriebe variabel verwenden und die Variantenvielfalt sinkt Blick der sterilen Fertigung sehr gut, produktionstechnisch aber auch ein sehr aufwändiges Verfahren“, beschreibt Klaus Sonntag, Leiter des technischen Service im Pharmawerk Melsungen. Das heißt aus dem PE-Granulat wird ohne Zwischenlager die verkaufsfertige Verpackungseinheit. Zudem sind auch noch unterschiedliche Herstellungsströme synchron zusammenzuführen – etwa die Verpackungsherstellung mit der Abfüllung. Die Abfüllung ist es auch, die bei B. Braun den Ton angibt. „Die Füllmaschine muss durchlaufen. Deshalb brauchen wir in der Produktion Zuführungsund Abführungspuffer“, erklärt Ralf Köhler, verantwortlich für Automatisierung im Vertrieb der Gronemeyer Maschinenfabrik GmbH & Co. Der Fördersysteme-Lieferant aus Höxter zählt zu den bewährten Part- nern von B. Braun, wenn es um Fragen des Materialflusses geht. Gronemeyer zählt ebenfalls seit jeher zu den Systempartnern von SEW-Eurodrive. „Wir waren von Beginn an in die Entwicklung des Movigear eingebunden.“ Das Materialflusssystem bei B. Braun gehört zu den typischen Applikationen, bei denen Movigear seine Vorteile als Antriebe für horizontale und ansteigende Fahrbewegungen voll ausspielen kann. Im Vergleich zu Standardgetriebemotoren liefert das System durch den integrierten Permanentmagnetmotor ein deutlich höheres Überlastverhalten bis zum 3,5-Fachen des Nennmomentes. „Diese Kraft brauchen wir in der Fördertechnik zum Starten. Wenn die Last erst in Bewegung ist, dann ist weniger Energie notwendig, weil ich ja nur noch die Gleitreibung zu überwinden habe“, erklärt Ralf Köhler und spricht von Energieeinsparungen von 66 %, die Gronemeyer im Vergleich zu herkömmlichen frequenzgesteuerten Asynchron-Getriebemotoren im Praxiseinsatz gemessen hat. Keine Verwirbelungen Auch im Reinraumbereich leistet Movigear seinen Beitrag für Energieeinsparung – und dieses über die eigentliche Antriebsaufgabe hinaus. Aufgrund des hohen System- Wirkungsgrades der mechatronischen Einheiten mit entsprechend geringen Wärmverlusten, kommt der Antrieb mit glatten Konturen und vor allem ohne Lüfter zum Einsatz. „Diese Details sind gerade für die Mit arbeiter interessant, die z. B. bei B. Braun für die reine Raumluft zuständig sind“, meint Köhler. In Reinräumen wird der Luftstrom von oben nach unten geführt und Staubpartikel dabei in Richtung Boden gedrückt. Kämen jetzt im Materialfluss Antriebe mit Lüfter zum Einsatz, dann würden sich unweigerlich im Luftstrom Verwirbelungen bilden. Das wiederum hätte automatisch einen höheren Leistungsbedarf für die Lüftungstechnik zur Folge, weil diese einen definierten Luftstrom sicherstellen muss. „Insofern haben lüfterlose Motoren gerade hier echte Vorteile, weil die Anlagen kleiner dimensioniert werden können und weniger Strom brauchen“, fasst der Automatisierungsspezialist von Gronemeyer zusammen. Variable Nutzung Weitere Vorteile der mechatronischen Antriebseinheit resultiert aus der Standardisierung, weil Movigear das volle Dreh moment Wir müssen intelligent fördern und nicht nur möglichst schnell. Durch das neue Antriebssystem lassen sich im Vergleich zu herkömmlichen frequenzgesteuerten Asynchron-Getriebemotoren Energieeinsparungen von bis zu zwei Dritteln realisieren. Ralf Köhler, Gronemeyer Maschinenfabrik in einem Drehzahlstellbereich von 1:2 000 erreicht. Damit lassen sich die Antriebe variabel verwenden und die Variantenvielfalt sinkt. „Wir nutzen am besten nur einen Typ, der sich überall einsetzen lässt“, sagt Klaus Sonntag. Dabei sinkt ferner das gebundene Kapital in der Ersatzteillagerung und auch der Schulungsaufwand beim Service- und Wartungspersonal nimmt ab. „Haben wir unterschiedliche Motoren auch von anderen Herstellern im gemischten Einsatz, müssen sich die Mit arbeiter immer wieder neu darauf einstellen.“ Je weniger Vielfalt, desto einfacher gestaltet sich die Arbeit damit. Dieser weite Einsatzbereich macht auch für Gronemeyer als Maschinenbauer die Projektierung einfacher, weil sich mit ein und demselben Motor in den Materialflusssystemen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten fahren lässt und das System dabei sehr effektiv auf schwankende Produktivitätskennzahlen reagieren kann. Hierzu zählen vor allem Materialpuffer auf der Strecke, die je nach Situation durch Tempoanpassungen voll- oder leergefahren werden. „Wir müssen intelligent fördern und nicht nur möglichst schnell“, betont Ralf Köhler. „Der Materialfluss bei B. Braun ist als Kreislauf aufgebaut und dieser arbeitet hoch dynamisch, um die Füllmaschine unterbrechungsfrei durchlaufen zu lassen.“ Halle 3A, Stand 411 Fotos: SEW-Eurodrive www.sew.de VERFAHRENSTECHNIK 11/2019 47