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Verfahrenstechnik 1-2/2015

Verfahrenstechnik 1-2/2015

Heißer Einsatz

Heißer Einsatz Vibrationsgrenzschalter schützt Turbinen vor Kondensat Juan Garcia Eine ungünstige Einbausituation und hohe Temperaturen führten bei einem mechanischen Grenzschalter immer wieder zu Unsicherheiten in einem Kraftwerk. Ein robuster Vibrationsgrenzschalter, der speziell für extreme Temperaturen konzipiert wurde, schlägt nun zuverlässig bei Kondensatstau Alarm. Während früher Kraftwerke den Ruf hatten, ein eher ruhiges Arbeitsumfeld zu bieten, hat sich die Situation in den dortigen Leitwarten grundlegend geändert. „Die Bedarfsanforderungen und Lastpläne ändern sich eigentlich täglich, manchmal sogar mehrmals am Tag“, beschreibt Jochen Reifenberg, verantwortlich für die Instandhaltung von Prozessleittechnik, Niederspannungsschaltanlagen und Motoren beim Großkraftwerk Mannheim, die derzeitige Situation. Insbesondere der Einfluss der erneuerbaren Energien macht die Arbeit besonders spannend. Das Kraftwerk erzeugt Strom für 1,5 Millionen Menschen, Gewerbe und Industrie sowie Fernwärme für 120 000 Haushalte bis nach Heidelberg und Speyer. Die installierte Werkleistung beträgt brutto 1675 MW beziehungsweise netto 1520 MW. Zudem produziert es mit drei Turbinen rund 10 % des Strombedarfs der Deutschen Bahn AG. Die Anforderungen haben sich durch die bevorzugte Einspeisung von Wind- und Sonnenenergie verändert. „Was früher die Mittagsspitzen waren, sind bei Sonnenschein und Wind Lasttäler. Wir müssen viel flexibler reagieren als früher“, so Reifenberg. Hinzu kommt, dass das Kraftwerk seit der Winterperiode 2011/2012 als Kaltreserve für Baden-Württemberg dient. Diese neue Situation wirkt sich auf die eingesetzten Komponenten aus. „Die Belastung für die Werkstoffe, Turbinen und Messgeräte ist durch die vielen Anfahr- und Abfahrvorgänge höher, der Verschleiß steigt. Gleichzeitig betreuen heute viel weniger Leute die Anlagen. Dementsprechend müssen wir gute Werkzeuge an der Hand haben, wie intelligente Automatisierungstechnik und eine zuverlässige Messtechnik“, so Reifenberg. Dabei kann das Kraftwerk im Vergleich zu anderen relativ flexibel agieren, da alle Kraftwerksblöcke über eine 20-bar- Sammel-Dampfschiene miteinander verbunden sind. Über diese kann je nach Strombedarf jede der 14 Turbinen einzeln angefahren werden. Kaltes Kondensat trifft heiße Turbine Im Fokus des Instandhalters Reifenberg stehen naturgemäß die Turbinen und gerade diese können in einer ungünstigen Situation durch Kondensat im Vorwärmer gefährdet sein. An der Turbine nimmt man über Anzapfungen Dampf ab und gibt sie an einen Vorwärmer ab, um das Wasser für den Kessel anzuwärmen. Der Dampf kühlt ab, konden- Autor: Juan Garcia, Produktmanagement, Vega Grieshaber KG, Schiltach 26 VERFAHRENSTECHNIK 1-2/2015

MESSEN, REGELN, AUTOMATISIEREN siert und das Wasser wird mithilfe von Pumpen, die über ein Regelventil gesteuert werden, aus dem Vorwärmer gefördert. Sollte eine Pumpe ausfallen, kann es passieren, dass der Wasserstand in den Vorwärmern so hoch steigt, dass das Wasser bis in den Turbinenschaufelraum reicht – mit verheerenden Folgen. Insbesondere, wenn kaltes Kondensat auf heiße Turbinen stößt, kann ein Schaden in Millionenhöhe entstehen. „An dieser Stelle sind derzeit vier Schwebekörpermessgeräte, die über einen Magnetklapppenschalter einen Alarm auslösen, in verschiedenen Höhen installiert“, beschreibt Reifenberg die derzeitige Lösung. „Zwar gibt es zur Sicherheit mehrere Geräte, aber dennoch sind wir gegen einen Schaden nicht gefeit“, erinnert sich Reifenberg. Zudem steigt der Aufwand, um die mechanischen Geräte betriebsbereit zu halten, von Jahr zu Jahr. Zumal die Messgeräte verhältnismäßig groß sind, riesige Flansche besitzen und sich oft im hintersten Eck im Dschungel aus Rohrleitungen befinden. Eine Revision wird schnell zum Kraftakt, da meist der Aufbau eines Gerüstes notwendig ist. Ein bis zwei Tage dauert etwa eine Revision pro Messstelle. „Bis zum vergangenen Jahr war eine Lösung für diese Messstelle schwierig, da die Temperaturen mit 420 °C für viele Messgeräte einfach zu hoch und anspruchsvoll waren“, erklärt Reifenberg die Notwendigkeit, mit den mechanischen Geräten weiterzuarbeiten. Doch da kam der Zufall zu Hilfe. Reifenberg hörte im vergangenen Jahr von der Neuentwicklung von Vega, dem Vegaswing 66, der insbesondere für hohe Temperaturen und hohe Drücke entwickelt wurde. Der Vegaswing 66 beruht auf dem bewährten Prinzip des Vibrationsgrenzschalters. Diese werden wegen ihrer Einfachheit und Zuverlässigkeit seit Jahren geschätzt. Die Inbetriebnahme und die Auswertung sind denkbar einfach, zudem überwacht sich der Sensor selbst. Bis zum Frühjahr 2013 wurden Vibrationsgrenzschalter jedoch nur bei Temperaturen bis 240 °C eingesetzt. Hintergrund ist, dass der Antrieb, der die Schwinggabel in einer bestimmten Frequenz anregt, auf der Piezotechnik basiert und diese wiederum ist für solche extremen Temperaturen nicht ausgelegt. Der Vegaswing 66 setzt dagegen auf einen patentierten induktiven Antrieb, der es mühelos schafft, die Schwinggabel auch unter extremen Temperaturbedingungen anzuregen. Für den Anwender bedeutet dies, dass er weiter die Vorteile der einfachen Handhabung des Vibrationsgrenzschalters nutzen kann, aber trotzdem ein erweiterter Anwendungsbereich von – 196 °C bis + 450 °C sowie ein Druckbereich von – 1 bis 160 bar zur Verfügung steht. Wie gewohnt, misst das Gerät unabhängig vom Medium den Füllstand. 01 Vegaswing 66 mit dem großen, extra angefertigten Flansch 02 Eine besondere Anforderung ergab sich aus der schwierigen Einbausituation Dichte, Dielektrizitätszahl oder Schaum beeinflussen die Qualität der Messung nicht. Unkomplizierter Wechsel und einfache Diagnose Die Revision eines Vorwärmers stand unmittelbar bevor, sodass der Einbau eines neuen Messgerätes möglich war. Zwei Wochen später lieferte Vega den Vegaswing 66 mit Flansch in den vor Ort benötigten Abmessungen und der Einbau konnte beginnen. Der Wechsel gelang problemlos. Der Vegaswing wurde im untersten Teil des Vorwärmers eingebaut, sodass dieser als erstes Alarm geben sollte. Seit einem halben Jahr arbeitet der Vegaswing 66 nun als Kondensatmelder, um die Turbine zu schützen. „Wenn mal wieder eine Revision ansteht, werden wir den Sensor natürlich genau anschauen, aber eigentlich erwarte ich hier keine besonderen Vorkommnisse“, so Reifenberg, der die Mechanik als äußerst robust einschätzt. Zukünftige Messstellen sollen mit Zweileiter-Geräten ausgestattet werden. Abgesehen von der einfacheren Installation sind die Möglichkeiten zur Diagnose interessant, da hiermit Leitungsbruch sowie die Frequenz überwacht werden können. Der Vegaswing 66 verfügt über eine Selbstüberwachung von Schwingelement und Elektronik. Zudem ist eine Funktionsprüfung per Tastendruck möglich und der Sensor ist SIL2-qualifiziert. Die Zweileiter-Technik wird häufig für SIL- und WHG-Anwendungen eingesetzt. Um einen Funktionstest auszulösen, wird die Schwinggabel vom Leitsystem bzw. dem vorgeschalteten Auswert- und Speisegerät per Tastendruck kurz spannungsfrei geschaltet. Die Schwinggabel läuft beim Hochfahren selbstständig alle verwendeten Schwingfrequenzen durch, sodass die Funktionen für alle Zustände (bedämpft, unbedämpft, Fehler bei niedriger Frequenz und Fehler bei hoher Frequenz) angefahren werden. Die Verdrahtung zur Schwinggabel wird nebenbei ebenfalls mitgeprüft. Das Leitsystem bzw. das vorgeschaltete Auswert- und Speisegerät können den Funktionstest dann als Beweis werten, dass die Schwinggabel einwandfrei funktioniert. Bisher waren für diesen Beweis aufwändige Prüfaufbauten nötig. Diese führten auch zum aufwändigen Ausbau des Prüflings. Nun ist die Funktionsprüfung nicht mehr als ein Tastendruck. Die Zulassungen nach EN 12952-11 und 12953-9 sind beantragt. Auch wenn in diesem Vorwärmer der Turbine inzwischen Ruhe eingekehrt ist und sich Reifenberg um andere Dinge kümmern kann – ruhig bleibt es im Kraftwerk dennoch nicht. In Zukunft soll auch an anderen Stellen der Vegaswing zum Einsatz kommen, in dem dieser die alten Messgeräte sukzessive – je nach Revisionsstand – ersetzen soll. Darüber hinaus hält nicht nur der Markt für erneuerbare Energie das in Bewegung: Gespannt warten die Mannheimer auf die Inbetriebnahme von Block 9, der auf dem Prinzip der Kraft-Wärme- Kopplung (KWK) beruht und besonders umwelt- und klimaschonend Strom und Fernwärme erzeugt. Ab 2015 werden dann Block 3 und 4 des Kraftwerks in den Ruhestand geschickt. Fotos: Aufmacher MVV, 01–02 Vega www.vega.com VERFAHRENSTECHNIK 1-2/2015 27